Freitag, 27. Juli 2012

Der Wolf unter den Hühnern

Der Henning ist ein komischer Gockel geworden. Früher konnte er einfach keinem Abendkrähen widerstehen und ging so auch keinem Korn aus dem Wege. Überall wo ein Haufen Mist lag, war er präsent. Und war das Stroh mal rar, dann breitete er trotzdem sein Gefieder aus. Denn wo der Henning war, musste sich jede am Fuß kratzen. Er war so unbekümmert, unreflektiert und machte einfach jeden erdenklichen Eierklau mit. Wenn ich an die legendären Wochenenden zurück denke, entsteht ein breites Grinsen in meinem Antlitz, dass meine Zähne fletschen. Er war der Pickerkönig unter der Pickerschar. Die Mondphasen waren meist lang und so der Schlaf kurz. Ein paar morsche Zweige zum Brunch und die Hühneraugen im Schädel waren beseitigt Damit der nächste Abend wieder körnig werden konnte, musste eine ordentliche Grundlage her. Nachdem wir uns die angebrochenen Tage meist mit Fernsehgackern im Stall vertrieben haben, gab’s wie üblich Baumrindensandwiches oder ein bis zwei Steinbodenpizzas inklusive Korn pro Schnabel. So konnte der nächste Tiefflug starten und unsere Köpfe erneut länger im Raum stehen bleiben als üblich.


Und heute ist der Henning ein ganz anderer Gockel. Er hat sich so stark ins Negative verändert. Ich erkenne seinen Kamm gar nicht wieder. Ehrlich gesagt will ich mit ihm auch nie wieder den Hof unsicher machen. Mein Rudel erzählt schon, dass er sein Krähen verloren hat und ein Besserpicker ist. Er treibt jetzt Flugsport. Sehr, sehr viel Flugsport. Keine Ahnung was er da genau macht, aber ich glaube der hat nichts anderes mehr im Sinn. Das ist schon krankhaft. Sein ganzes Leben besteht nur noch aus Flugsport. Erbärmlich und federlos! Er hat offensichtlich den Boden unter den Krallen verloren. Auf Balztänzen benimmt er sich zudem völlig daneben. Er frisst weder Eierkuchen noch stößt er mit Korn an. Er mag vermutlich gar keinen Korn mehr. Beim Fressen pickt er immer diese mageren Würmer und Käfer. Der übertreibt extrem. Da lachen ja die Hühner! Und wenn wir alle gemeinsam mal einen Sturzflug machen wollen, spielt er die Spaßbremse. Sowas wie Kompromissbereitschaft kennt er gar nicht. Ich meine, man lebt doch nur einmal! Aus diesem Grund sollte man doch das Krähen mit all seinen Lastern in vollen Lauten genießen. Oder muss man unbedingt fliegen können?

Isegrim

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